
Ausreisezahlen steigen
Bezahlkarte für Flüchtlinge: Wirkung und Wirklichkeit
Die Bezahlkarte für Flüchtlinge wirkt. So simpel ist die Botschaft, die sich aus den aktuellen Zahlen ergibt, die der Bild-Zeitung vorliegen. Rund 1.200 Asylbewerber haben demnach allein in Bayern im ersten Quartal 2025 freiwillig das Land verlassen. In Hamburg stieg die Zahl der Ausreisen nach der Einführung der Karte im März ebenfalls deutlich.
Das sind die konkreten Zahlen zur Bezahlkarte für Flüchtlinge
Als erste Kommune Deutschlands hatte der Landkreis Greiz im Dezember 2023 die Bezahlkarte in Eigenregie eingeführt. Seitdem ist auch hier die Zahl der freiwilligen Ausreisen von Asylbewerbern um 28 Prozent gestiegen.
In Brandenburg hat sich die Zahl der Ausreisen seit der Einführung laut Zahlen der Bild-Zeitung, die sich auf das Innenministerium beruft, verdoppelt.
Magdeburg in Sachsen-Anhalt meldet eine Erhöhung der Ausreisefälle um ein Drittel.
Für Sachsen meldet die Zeitung für Juli bis Dezember 2023 insgesamt 384 Fälle, für den gleichen Vergleichszeitraum ein Jahr später 464. Ein Anstieg von 21 Prozent!
Dass zwischen den Ausreisezahlen und der Bezahlkarte ein Zusammenhang besteht, scheint ebenfalls deutlich. Dort, wo für die Bezahlkarte deutlich mildere Regeln gelten, ist die Abreise-Quote nach Zahlen der Bild-Zeitung stagniert oder gar gesunken. In Hannover etwa, wurden ab Ende 2023 sogenannte Social-Cards - also Karten ohne Bargeld-Limits und ohne Einschränkungen bei Überweisungen ausgegeben. Ergebnis: Im Jahr 2024 sank die Zahl der freiwilligen Ausreisen um 36 Prozent.
Die Erfahrungen zur Bezahlkarte für Flüchtlinge sind fast überall gleich
Und in mehreren Bundesländern zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Einführung der Bezahlkarte geht einher mit einem Rückgang der Asylantragszahlen und einer Zunahme von Ausreisen. Ein Schelm, wer da von Kausalität spricht, aber der Zusammenhang liegt mehr als nahe.
Und das ist politisch brisant. Denn es bestätigt all jene, die seit Jahren fordern, Bargeldleistungen für Flüchtlinge einzuschränken. Die Bezahlkarte schiebt dem grenzüberschreitenden Geldtransfer einen Riegel vor, macht das System für Leistungsbetrug weniger attraktiv – zumindest theoretisch. Doch wie immer steckt der Teufel im Detail. Und in den Kommunen, in denen die Karten bereits im Einsatz sind, zeigt sich: Die Umsetzung ist alles andere als trivial.
Wenn die Theorie an der Praxis scheitert
Der Bürgermeister von Langenfeld, Frank Schneider, etwa zeigt die Probleme in der Praxis schonungslos auf. In einem Brief an die NRW-Flüchtlingsministerin beschrieb er die Umsetzung der Bezahlkarte in NRW vor wenigen Tagen als „schlecht, ja desaströs“.
So wie jetzt eingeführt, habe die Bezahlkarte „keine regulierende Wirkung“. Die „größte Schwachstelle“, so schreibt der Kommunalpolitiker auch im Namen seiner Bürgermeister-Kollegen aus dem Kreis Mettmann: die Sepa-Funktionen der Karte! „Die sich daraus ergebenen Umgehungsmöglichkeiten der Bargeldbeschaffung durch ein eigenes oder drittes Konto, von dem dann unbeschränkt Bargeld ausgezahlt wird oder die zu vermeidenden Auslandsüberweisungen doch möglich sind, höhlen das Regelungswerk vollkommen aus“, schreibt er in dem Brief. Hintergrund: Die Bezahlkarte ist zwar nicht mit einem Konto verknüpft, es lassen sich aber Beträge auf andere Konten überweisen – damit auch Bezahlkarten-Inhaber etwa Geld für das Schulessen ihrer Kinder überweisen können. Da viele Flüchtlinge in Deutschland auch über ein eigenes Girokonto verfügen, können sie dann auch Geld überweisen und abheben.
Schneider wollte die Bezahlkarte in seiner Kommune eigentlich einführen, hat nun aber doch wieder Abstand davon genommen.
Die Schwachstellen der Bezahlkarte für Flüchtlinge
Aus einem gut gemeinten Instrument werde ein Bürokratiemonster. Da besitzt ein Flüchtling gleich zwei Bezahlkarten von zwei verschiedenen Kommunen – und beide werden aufgeladen. Es ist der Klassiker: Eine eigentlich gute Idee wird so umgesetzt, dass sie ihre Wirkung nicht voll entfalten kann. Und plötzlich ist der vermeintlich sichere Mechanismus nicht mehr sicher, sondern offen für Missbrauch.
Auch die Verwaltung selbst stößt schnell an ihre Grenzen. Denn die Bezahlkarte erfordert eine enge Abstimmung zwischen den Kommunen, eine IT-Infrastruktur, die miteinander kommuniziert, und ein Personal, das in der Lage ist, Missbrauchsmuster zu erkennen. All das ist in der aktuellen kommunalen Realität eher selten der Fall. Und so kommt es, dass die Bezahlkarte mancherorts mehr Aufwand als Erleichterung bedeutet.
Zwischen Wirkung und Wunschdenken
Und dennoch: Die grundsätzliche Wirkung der Bezahlkarte lässt sich nicht leugnen. Schon im April 2024 berichteten wir auf KOMMUNAL, dass erste Kommunen von einem deutlichen Rückgang bei Bargeldabhebungen und einem verbesserten Kontrollmechanismus sprechen. Auch die Angst vieler Kommunen, dass die Karte zu Protesten oder gar Ausschreitungen führen könnte, hat sich bislang nicht bestätigt.
Doch damit das so bleibt, müssen die Kinderkrankheiten des Systems schnell geheilt werden. Und das ist eine Aufgabe, die nicht allein in Berlin oder auf Länderebene gelöst werden kann. Auch in den Kommunen beziehungsweise Landkreisen können wir selbst viel tun. Es braucht klare Prozesse, verbindliche Standards und eine Transparenz, die nicht nur Vertrauen schafft, sondern auch Kontrolle ermöglicht.
Was Kommunen jetzt tun sollten
Wer als Kommune die Bezahlkarte einsetzt oder dies plant, sollte sich nicht auf die schönen PR-Folien der Anbieter verlassen. Es braucht ein eigenes Kontrollsystem. Hier sind einige konkrete Tipps:
- Kommunale Vernetzung aufbauen: Nur wenn Kommunen untereinander Informationen austauschen, lassen sich Doppelauszahlungen und Betrugsfälle verhindern. Ein interkommunales Register wäre ein erster Schritt.
- Schulung des Personals: Wer mit den Karten arbeitet, muss sensibilisiert sein. Auffälligkeiten müssen erkannt und gemeldet werden.
- Regelmäßige Überprüfung der Kartenkonten: Ein Controlling muss Standard werden. Wer wird wann mit welchen Leistungen versorgt? Wo gibt es Unstimmigkeiten?
- Klare Kriterien für Kartensperrungen: Bei Verdacht auf Missbrauch muss schnell und rechtssicher gehandelt werden können. Dazu braucht es standardisierte Verfahren.
- Begleitende Kommunikation: Die Karte darf nicht als Strafe kommuniziert werden, sondern als transparentes Mittel für Fairness und Gleichbehandlung.
Die Bilanz: Licht und Schatten
Positive Effekte der Bezahlkarte:
- Deutlicher Rückgang grenzüberschreitender Geldtransfers
- Gesteigertes Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung
- Besserer Überblick über ausgezahlte Leistungen
- Potenziell abschreckende Wirkung auf wirtschaftlich motivierte Asylbewerber
- Vereinfachung der Buchhaltung durch standardisierte Zahlungen
Negative Effekte der Bezahlkarte:
- Hohes Missbrauchspotenzial bei unzureichender Kontrolle
- Mehraufwand für die Verwaltung ohne technische Unterstützung
- Gefahr der Stigmatisierung von Flüchtlingen
- Noch fehlende Standards zwischen den Kommunen
- Teilweise mangelnde Akzeptanz bei Einzelhändlern
Die Bezahlkarte für Flüchtlinge: Ein Schritt in die richtige Richtung
Die Bezahlkarte ist kein Wundermittel, aber sie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie kann helfen, das Asylsystem gerechter, transparenter und effizienter zu machen. Doch dafür braucht es den politischen Willen, klare Standards und eine kommunale Verwaltung, die nicht nur verwaltet, sondern gestaltet. Wer jetzt handelt, kann Missbrauch verhindern, Vertrauen stärken und die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen. Wer es schleifen lässt, bekommt statt Lösung nur neuen Frust. Und den kann sich gerade auf kommunaler Ebene niemand mehr leisten.