
Diskussion um Kindergartenplätze
Von der Knappheit zur Herausforderung: Wenn Kitas zu viel Platz haben
Besonders betroffen sind ländlich geprägte Kommunen in Ostdeutschland. Aber auch westdeutsche Städte spüren erste Auswirkungen des Wandels.
Entwicklung in Zahlen
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist die Zahl der Kinder unter drei Jahren zurückgegangen. Gleichzeitig stieg der Anteil der Kinder mit mehr als 35 Wochenstunden Betreuung zwischen 2014 und 2024 um etwa 30 Prozent. In Thüringen wurde 2024 das niedrigste Geburtenjahr seit 1995 verzeichnet. Die Bevölkerungsprognose bis 2040 geht von einem Rückgang um rund 10,9 Prozent aus. Das bedeutet: In vielen Kommunen stehen hunderte Kita-Plätze leer.
Regionale Beispiele aus Ostdeutschland
Im Saale-Holzland-Kreis wird ab Juli 2026 mit rund 1.000 freien Kita-Plätzen gerechnet. Eine Einrichtung soll geschlossen werden. In Weimar sollen etwa 500 Plätze abgebaut werden. Eisenach erwartet bis 2030 einen spürbaren Rückgang. Auch Städte wie Leipzig, Potsdam und Rostock melden tausende freie Plätze. Mehrere Kommunen prüfen die Schließung von Einrichtungen.
Die Entwicklung im Westen: Fachkräftemangel trotz Platzmangel
Laut Bertelsmann-Studie aus dem Jahr 2022 fehlen bundesweit rund 383.600 Kita-Plätze. Davon entfallen rund 362.400 auf Westdeutschland und 21.200 auf den Osten. Besonders betroffen ist die Betreuung von Kindern unter drei Jahren: Hier fehlen allein im Westen rund 250.300 Plätze. In vielen westdeutschen Kommunen führt der Fachkräftemangel dazu, dass Kitas schließen oder ihre Öffnungszeiten verkürzen müssen, wie etwa in Tübingen.
Ursachen des Wandels
Die Geburtenzahlen sind seit Jahren rückläufig, vor allem in Ostdeutschland. Thüringen zählte 2024 lediglich 13.000 Neugeborene. Bis 2040 droht ein Bevölkerungsverlust von bis zu 11 Prozent. Hinzu kommt die Abwanderung junger Eltern in andere Regionen. Städte wie Leipzig oder ländliche Regionen wie die Altmark in Sachsen-Anhalt sind davon besonders betroffen.
Eine Studie des IW Köln zeigt außerdem deutliche Unterschiede in der Kita-Versorgung je nach Quartier: Sozial schwächere Bezirke verfügen im Schnitt über 14,5 Prozent weniger Kita-Plätze als wohlhabendere. Die Chancenungleichheit ist damit vorprogrammiert.
Herausforderungen in der Praxis
Längere Öffnungszeiten und wachsende Anforderungen an die Qualität der Betreuung erfordern mehr Personal. Doch in vielen ostdeutschen Einrichtungen liegt der Personalschlüssel bei bis zu 1:5,4 in Krippen – empfohlen wird ein Verhältnis von 1:3. Bei sinkender Auslastung steigt der organisatorische Mehraufwand.
Einige Kommunen reagieren bereits: Im Saale-Holzland-Kreis soll ab 2026 eine Kita geschlossen werden. Leipzig kündigte für 2025 zwei Schließungen an, Dresden plant bis 2029 sogar elf Einrichtungen aufzugeben. Weitere Kommunen denken über verkürzte Öffnungszeiten oder Gruppenzusammenlegungen nach.
Qualität statt Quantität
Thüringen investiert jährlich rund 140 Millionen Euro, um die Betreuungsschlüssel zu verbessern: In Krippen liegt das neue Ziel bei 1:6, im Ü3-Bereich bei 1:12. Gewerkschaften, Verbände und Stiftungen wie Bertelsmann fordern bundesweite Programme zur Qualitätssteigerung. Dazu gehören mehr Fach- und Hauswirtschaftskräfte sowie standardisierte Programme für Quereinsteiger.
Praxisnahe Lösungen für Kommunen
Immer mehr Kommunen setzen auf datengestützte Kapazitätsanalysen, um fundierte Entscheidungen zu treffen:
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Wo steigen die Kinderzahlen, wo sinken sie?
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Welche Einrichtungen liegen verkehrsgünstig, welche verursachen dauerhaft hohe Kosten?
Maßnahmen im Überblick:
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Konsolidierung: Zusammenschluss kleiner Einrichtungen, zentrale Nutzung für U3-Gruppen, Umnutzung freier Räume für Mehrgenerationenangebote oder Beratungsstellen.
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Flexible Öffnungszeiten: Reduzierung von Randzeiten zugunsten kompakter Betreuungsblöcke.
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Kooperation mit Arbeitgebern: Anpassung der Arbeitszeiten zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
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Fachkräftebündelung: Trägerübergreifendes Pooling von Erziehern.
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Quereinstieg erleichtern: Schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Kooperation mit Jobcentern.
Soziale Dienste besser integrieren
Einrichtungskonzepte entwickeln sich weiter:
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Kitas werden zu sozialen Anlaufstellen mit Familienberatung, Sprachförderung oder Gesundheitsangeboten.
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Leerstehende Kitas lassen sich in Familienzentren, Bewegungsräume oder Vertrauensorte im Quartier umwandeln.
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Mobile Gruppenmodule können teure Festeinrichtungen ersetzen.
Erfolgreiche Beispiele aus Bund und Ländern
Thüringen: Investiert jährlich 140 Mio. Euro zur Verbesserung der Betreuungsschlüssel. Das sichert Arbeitsplätze und schafft Zeit für individuelle Förderung.
Sachsen und Brandenburg: Pilotregionen testen die Zusammenlegung von Standorten. Einsparungen bei Verwaltung und Personal sowie gezielte Förderinstrumente unterstützen die frühzeitige Konsolidierung.
Tübingen: Reduzierte Öffnungszeiten sorgen für mehr Planbarkeit im Alltag und gleichzeitige Verfügbarkeit während der Hauptzeiten.
Nordrhein-Westfalen: Fördert Fachkräfteoffensiven und Ausbildungskampagnen. Kommunen wie Köln unterstützen Erzieher im Umland mit Mobilitätszuschüssen.