Bürgermeister Andre Ebeling, Kummerow im Feuerwehrfahrzeug, Kampf gegen Bürokratiewahnsinn
Bürgermeister Andre Ebeling, Kummerow im Feuerwehrfahrzeug
© Gudrun Mallwitz

Gesetze

Kummerow rückt gegen den Bürokratie-Brand aus

Ein funktionierendes Fahrzeug durfte nicht eingesetzt werden, ein Löschteich musste gebaut werden – obwohl ein großer See direkt daneben liegt. Der Bürgermeister eines kleinen Dorfs kämpft gegen den Verordnungswahnsinn. Teil 1 unserer neuen SERIE zum Bürokratiewahnsinn in Deutschland.

Wer die Ruhe sucht, findet sie in Kummerow. Ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, ohne Durchgangsverkehr und still gelegen an einem tiefblauen See. Hier gibt es ein Hotel mit Gaststätte am Wasser und einige Pensionen. Einen Dorfladen sucht man vergeblich, dafür aber ist ein barockes Schloss weithin sichtbar, das ein Berliner Investor liebevoll saniert hat. Die Suche nach dem Bürokratie-Wahnsinn in Deutschland führte KOMMUNAL in den Ort im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.  Das 570-Seelen-Dorf stemmt sich gegen Vorschriften, deren Sinn sich den Bewohnern nicht erschließt. „Wir kommen in Deutschland nicht voran, solange an so vielen Stellen Politik gegen den gesunden Menschenverstand gemacht wird“, sagt Kummerows ehrenamtlicher Bürgermeister André Ebeling.

Bürokratiewahnsinn

Schon mehrere Bundesregierungen versprachen, die überbordende Bürokratie abbauen zu wollen. Gutachten zählen auf Tausenden von Seiten Vorschriften auf, die gestrichen werden müssten. Anfang dieses Jahres trat das vierte Bürokratieentlastungsgesetz in Kraft. Auch die neue Regierungskoalition aus CDU und SPD will – wie ihre Vorgänger – das Förderprozedere von Vorhaben deutlich vereinfachen. Laut einer Studie verzichtet ein Viertel der Kommunen bisher darauf, Fördermittel für Projekte zu beantragen, weil die Antragstellung zu komplex ist.

Doch Papier ist geduldig und die Wirklichkeit frustrierend. Im stillen Kummerow lauert der Verordnungswahnsinn an gleich mehreren Stellen des kleinen Dorfes.  Bürgermeister Ebeling will daher keine Ruhe geben. „Ich weiß, dass ich mich damit bei den zuständigen Stellen in der Landesregierung in Schwerin unbeliebt mache“, sagt er. „Doch mein Heimatdorf ist mir wichtiger. Und ich bin es, der für den Unfug dann verantwortlich gemacht wird. Schließlich steht meine Unterschrift meist am Ende unter den Beschlussdokumenten.“

Feuerwehrhaus Kummerow

Hauptschauplatz des dörflichen Bürokratie-Theaters ist das Feuerwehrhaus. Bürgermeister Ebeling öffnet die großen roten Tore und zeigt stolz auf ein neues wasserführendes Tragkraftspritzenfahrzeug TSF-W. Gefördert vom Land Mecklenburg-Vorpommern, Anschaffungswert: rund 265.000 Euro. „Allein hätte sich die Gemeinde dieses Feuerwehrlöschfahrzeug niemals leisten können“, sagt er. Als der zuständige Innenminister den Förderbescheid übergab, schien noch alles in bester Ordnung. Doch die Freude über die neue technische, lebensrettende Errungenschaft währte nur kurz. Denn dann begann der Bürokratiekrieg. „In das neue Löschfahrzeug passen nur sechs Personen“, erzählt Bürgermeister André Ebeling. „Deshalb haben wir unser bisheriges völlig veraltetes Löschfahrzeug zum Transporter umgebaut.“ Damit eine einsatzfähige Truppe aus den Reihen der 18 aktiven Mitglieder ausrücken kann.

Fahrzug umgerüstet - Ministerium dagegen

 Der TÜV nahm das umgerüstete Fahrzeug ordnungsgemäß ab. Doch womit die Gemeinde nicht gerechnet hatte: Das mecklenburg-vorpommerische Innenministerium bemängelte diese pragmatische Lösung – und drohte mit Konsequenzen.  Das alte Fahrzeug dürfe nicht genutzt werden.  Warum? „Es durfte nur ein Fahrzeug geben, um in den Genuss der Förderung zu kommen“, erläutert der Bürgermeister. Das bisherige Löschfahrzeug müsse außer Dienst gestellt werden – was aus Sicht der Gemeinde bereits passiert war. Denn der Feuerlöschwagen war ja nun offiziell nur für den Transport da.   Auf Anfrage von KOMMUNAL sagte eine Sprecherin des Ministeriums: „Da es sehr viel mehr Gemeinden gab, die gern ihre eigentlich nicht mehr nutzbaren Fahrzeuge durch ein neues ersetzen wollten, war dies eine der maßgeblichen Voraussetzungen bei der Auswahl der Kommune für die Förderung." Dies sei den über 260 geförderten Gemeinden bekannt gewesen und sei weitgehend umgesetzt worden.

Das Ministerium habe die Gemeinde auf eine neue Förderrichtlinie für die Anschaffung eines Mannschaftstransportwagens hingewiesen, so Ebeling. „Wir hätten dafür die Hälfte der Kosten für die Anschaffung als Eigenanteil aufbringen müssen."

Feuerwehrfahrzeuge Kummerow
Vorne das neue Tragkraftspritzenfahrzeug TSF-W., rechts das alte und umgebaute Löschfahrzeug.

Da kamen die Kummerower auf eine Idee. Sie schlugen das umgebaute ehemalige Löschfahrzeug einfach dem Bauhof zu. Im Ernstfall aber sollte es der Feuerwehr dienen – ohne Sirene.  Ein gelbes Licht wurde statt des Blaulichts aufgesetzt, und im Feuerwehrhaus blieb der Platz neben dem neuen Fahrzeug leer. Doch auch das überzeugte das Ministerium offenbar nicht. Was Ebeling besonders ärgerte: „Es gab vier Einladungen an die zuständige Stelle im Ministerium, sich vor Ort einen Überblick zu verschaffen – doch keine davon wurde beantwortet“, erzählt der Bürgermeister.  Sein Wunsch: „Nicht nur mit Zetteln arbeiten, sondern sich mit gesundem Menschenverstand die Situation anschauen und vor Ort bessere Entscheidungen treffen.“

Dorfstraße in Kummerow
Dorfstraße in Kummerow: Wenig los, aber viel Bürokratie.

Wieder Blaulicht und Sirene auf dem Fahrzeugdach

Kummerow landete mit seiner Feuerwehrfahrzeug-Posse im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler 2024. Selbst der sonst auch Kommunen gegenüber höchst kritischen Interessenverband gab der Gemeinde recht. Warum sollte Kummerow ein funktionstüchtiges Fahrzeug nicht weiter nutzen dürfen?  Wieso musste für teures Geld eine neue Investition getätigt werden? Der Streit endete zugunsten des Dorfes. „Das Innenministerium hat vor den Bundestagswahlen den Vorgang noch einmal neu bewertet und die ursprüngliche Forderung revidiert“, so Ebeling. Das aber hatte auch wieder Folgen: Der Umbau zum Bauhof-Fahrzeug wurde rückgängig gemacht, das Fahrzeug erneut kostenpflichtig dem TÜV vorgeführt und wieder bei der Verkehrsbehörde umgemeldet werden. Jetzt hat es wieder Blaulicht und Sirene auf dem Dach – und steht einsatzbereit im Feuerwehrhaus. Also viel Arbeit, mehr unnötige Kosten und Ärger umsonst

Wir kommen nicht voran, solange Politik gegen den gesunden Menschen­verstand gemacht wird.“

André Ebeling, ehrenamtlicher Bürgermeister in Kummerow

Behördenanordnung: Feuerlöschteich neben dem See

Nicht weit von der Dorfstraße geht das Bürokratie-Stück weiter. Obwohl Kummerow einen riesigen See hat, musste die Gemeinde einen Feuerlöschteich bauen lassen. „Wir wollten das Löschwasser dem See entnehmen. Doch er ist laut Behörden ganze 50 Meter zu weit weg und zur Löschwasserentnahme ungeeignet“, sagt Ebeling. Die Folge: Der neue Teich verschlang fast 140.000 Euro. Die Pflege ist aufwendig und wird für die Gemeinde sehr teuer werden, weil sich dort immer wieder Schwammalgen bilden. „An manchen Tagen kann kein Löschwasser entnommen werden“, sagt Ebeling. „Aber ohne diesen Teich hätten die Behörden der neu gebauten Kindertagesstätte die Betriebserlaubnis verweigert.“

Feuerwehrteich neben Kummerower See
Teurer Feuerwehrteich vor Kummerower See

Der ehrenamtliche Bürgermeister und Berufssoldat hätte noch weitere Geschichten auf Lager, die ihn und die Bewohner von Kummerow wundern. Sein Eindruck von der überbordenden Bürokratie in Deutschland: „Wir Kommunen laufen gegen Windmühlen.  Was wir brauchen:„Keine Gesetze und Richtlinien mehr, die mit der Realität kollidieren.

Bürokratiewahnsinn

Die 5 größten Bürokratiebremsen

für Kommunen

  • Komplexe Fördermittelanträge
  • Aufwendige Ausschreibungsverfahren
  • Starre Laufbahnvorgaben im öffentlichen Dienst
  • Lange Genehmigungsverfahren bei Baumaßnahmen
  • Schleppende Digitalisierung

Fotocredits: Gudrun Mallwitz